Clifford Chance: 'Sammelklagen-Konzepte von EU und Bundesregierung schaffen Chaos statt Verbraucherschutz'
12 April 2018
Clifford Chance: 'Sammelklagen-Konzepte von EU und Bundesregierung schaffen Chaos statt Verbraucherschutz'
In Deutschland und Europa steht die Einführung von verschiedenen Sammelklage-Konzepten bevor. Ziel soll ein verbesserter Verbraucherschutz gegen Unternehmen sein. Das Bundeskabinett will noch im April die "Musterfeststellungsklage" auf den Weg bringen, und die EU-Kommission hat am 11. April Pläne zur Einführung von "Repräsentantenklagen" gegen große Unternehmen vorgestellt. In beiden Modellen sollen nur Institutionen, wie etwa Verbraucherschutzverbände, klageberechtigt sein.
"Die unkoordinierten Initiativen von EU-Kommission und Bundesregierung zur Einführung von Sammelklagen verursachen einen gigantischen Aufwand bei Unternehmen und Justiz, der in der Praxis Wirrwarr und Frust erzeugen wird, aber kaum Nutzen für Verbraucher schafft", erwartet Burkhard Schneider, Partner der Anwaltssozietät Clifford Chance und Spezialist für Prozessführung und alternative Streitbeilegung.
Schneider kritisiert: "In der schnelllebigen globalisierten Wirtschaft sind diese absehbar viele Jahre dauernden und komplizierten Sammelklagen ein Anachronismus."
Zu erwarten sei "babylonische Rechtsverwirrung" bei Umsetzung der jetzigen Pläne: "Sowohl das Berliner wie das Brüsseler Konzept übersehen, dass bei einer Bündelung von Verbraucheransprüchen aus mehreren EU-Mitgliedstaaten in einer Musterfeststellungs- oder Repräsentantenklage auch ebenso viele Rechtsordnungen anzuwenden sind – oder es werden parallele derartige Klagen in jedem EU-Mitgliedstaat geführt. Das kann nicht ernsthaft gewollt sein."
Zum Hintergrund: Kollektiver Rechtsschutz ist ein Evergreen für Rechtspolitiker. Grund sind wiederkehrende Verstöße gegen Verbraucherinteressen – wie jüngst im sogenannten Dieselskandal. Dagegen will die Bundesregierung nun die sogenannte Musterfeststellungsklage auf den Weg bringen. Sie kombiniert Elemente des auf EU-Richtlinienrecht basierenden Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) und des auf Kapitalanlageschäden beschränkten Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes (KapMuG). Mit der Unterlassungsklage können Verbraucherverbände unfaire allgemeine Geschäftsbedingungen oder unlautere Geschäftspraktiken verbieten, aber nicht Schäden Betroffener geltend machen. Das KapMuG ist auf Schadenersatzklagen individuell geschädigter Anleger ohne Allgemeinwirkung beschränkt. Schon diese Klagemodelle kranken in der Praxis an vielen Problemen.
"Der Klageweg bei der neuen Musterfeststellungsklage ist voraussehbar langwierig und auch missbrauchsanfällig", sagt Burkhard Schneider. Langwierig, weil nur die Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbrauchern und Beklagten festgestellt werden. Darauf gestützt klagen die Betroffenen dann ihren individuellen Anspruch per Schadenersatz- oder Gewährleistungsklage ein.
Missbrauchsanfällig ist dieses Verfahren, weil Verbraucherverbände als potenzielle Klageführer meist knapp ausgestattet und deshalb auf Finanzierung durch auf Erfolgshonorarbasis agierende Klägeranwälte und Prozessfinanzierer angewiesen sind. Die Überwindung der vorgesehenen Zulassungshürden dürften für diese Klägerindustrie Formsache sein, und eine Prüfung der Anmeldeberechtigung ist nicht vorgesehen.
"Überschneidungen zwischen dem neuen Musterfeststellungsverfahren sowie der EU-Repräsentantenklage und den bewährten Rechtsschutzinstrumenten werden großes Rechtswirrwarr stiften", erwartet Schneider. Anders als im KapMuG, das vergleichbare Einzelklagen einfriert, um gemeinsame Fragen vom Oberlandesgericht entscheiden zu lassen, erlaubt die Musterfeststellungsklage ein Windhundrennen auf Klägerseite. Betroffene sollen ganz nach Belieben der Musterfeststellungsklage fernbleiben, sich ihr anschließen, wieder aussteigen oder in der gleichen Sache individuell klagen können. Deshalb könnten Klägerkanzleien am Musterverfahren vorbei hohe Anspruchsvolumina mit Hilfe von Klagevehikeln bündeln und direkt Schadenersatz einklagen. Milliardenklagen von Klagevehikeln gehören auch in Europa schon seit vielen Jahren zum Standardrepertoire der Klägerindustrie.
Auch die von der EU geplante Repräsentantenklage wird eine Fülle neuer Rechtsprobleme erzeugen, statt Verbraucherschutz schaffen. "Die niedrigen Akkreditierungsvoraussetzungen für Klägerorganisationen bei der geplanten Repräsentantenklage der EU sind ein Aufruf zum Kapern für die Klägerindustrie", sagt Schneider. Zudem sollen Verbraucherverbände sogar die Offenlegung von Unternehmensinterna und Beweismitteln verlangen können, und eine Repräsentantenklage bewirkt automatisch eine Verjährungshemmung zugunsten aller Betroffenen, die ihrerseits jederzeit auch individuell gegen den Schädiger klagen können.
"Die neuen Sammelklagen-Konzepte verbessern den Verbraucherschutz nicht, weil sie in der Praxis nicht funktionieren können. Der geschaffene Lästigkeitswert wird den Unternehmen ungerechtfertigte Vergleiche abnötigen und den Verbrauchern suboptimale Schadensersatzbeträge, was die Integrität der Rechtspflege belastet", befürchtet Burkhard Schneider. "Die Musterfeststellungsklage und die EU-Repräsentantenklage sind mit den Rechtssystemen in Deutschland und den EU-Mitgliedstaaten nicht kompatibel."